Das International Baccalaureate an der Stiftsschule Engelberg
Seit bald vier Jahren ist die Stiftsschule Engelberg vom International Baccalaureate (IB) als IB World School anerkannt und autorisiert, ihre Schülerinnen und Schüler auf das IB-Diplom vorzubereiten. In den folgenden Zeilen stelle ich dar, wie das IB-Diplomprogramm aufgebaut ist, wie es in das Curriculum des Gymnasiums integriert wird, worin der Gewinn für Schule und Lernende liegt und was sich nach zwei ersten Jahrgängen mit Doppelabschluss Maturität plus IB-Diplom bereits sagen lässt.
Aufbau und Inhalte des Diploms
Schulen, die auf das IB-Diplom in Verbindung mit einem nationalen Mittelschulabschluss vorbereiten, müssen sich für den Unterricht in den letzten zweieinhalb Schuljahren vor dem Diplom (d. h. im 2. Semester des 10. und im 11. und 12. Schuljahr) an Vorgaben des IB halten. Das IB verlangt, dass die Lernenden sechs Fächer wählen, grundsätzlich aus sechs Fachbereichen je ein Fach. Die sechs Fachbereiche sind: Sprache und Literatur, Spracherwerb, Individuum und Gesellschaft, Naturwissenschaften, Mathematik und Künste. Anstelle eines Kunstfaches kann ein Fach eines anderen Fachbereiches belegt werden. Bei uns sind die Fächer vorläufig von der Schule bestimmt: Deutsch, Englisch, Geografie, Biologie, Mathematik und anstelle eines Kunstfaches Französisch. Alle Fächer werden in zwei Niveaus angeboten: dem Grundstufenniveau und dem Leistungsstufenniveau. Drei der sechs Fächer müssen im Leistungsstufenniveau besucht werden. Zusätzlich müssen die Lernenden das interdisziplinäre Fach Erkenntnistheorie belegen, eine grössere Arbeit (Extended Essay) schreiben und nachweisen, dass sie sich neben dem Unterricht musisch, sportlich und sozial engagieren. Diese drei Elemente stellen den Kern des Programms dar, der in der Erkenntnistheorie eine Verknüpfung der verschiedenen Fachbereiche und eine Reflexion über sie erlaubt, mit dem Extended Essay auf das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten vorbereitet und die akademische Ausbildung mit musischem, sportlichem und sozialem Engagement abrundet. Alle Fächer – ausser den Sprachfächern – werden in englischer Sprache unterrichtet und geprüft (Immersionsunterricht). Im Mai des 12. Schuljahres finden die schriftlichen IB-Abschlussprüfungen statt. Die Prüfungen werden vom IB geschrieben und an die Schulen versandt, so dass die Lernenden sie an der Schule ablegen können. Die Bewertung wird von IB-Korrektoren vorgenommen, Anfang Juli teilt das IB die Prüfungsresultate mit. Pro Fach gibt es Punkte von 1 (schlechteste) bis 7 (beste Bewertung), für Extended Essay und Erkenntnistheorie zusammen können maximal 3 Punkte erteilt werden, so dass eine Maximalpunktzahl von 45 möglich ist.
Die Stiftsschule Engelberg bietet das IB-Diplom zusammen mit der zweisprachigen Maturität Deutsch-Englisch als Doppelabschluss an. D. h. alle unsere Schülerinnen und Schüler legen am Ende des 12. Schuljahres die IB-Prüfungen und die Prüfungen der zweisprachigen Maturität ab, um beide Diplome zu erhalten. Das erfordert eine präzise Abstimmung der Stundentafel und der Lehrpläne auf die Anforderungen beider Diplome. So wird der Extended Essay auch als Maturaarbeit eingereicht und Erkenntnistheorie wird im Fach Philosophie unterrichtet. Zwei Unterschiede zwischen IB-Diplom und Maturität stechen hervor: Die Anzahl der Maturitätsfächer ist grösser als die Anzahl der IB-Fächer. Die Stundentafel muss also so gestaltet sein, dass in den zwei letzten Jahren des Gymnasiums auch die ausschliesslichen Maturitätsfächer unterrichtet werden können, ohne die Lernenden zu überlasten. Der zweite Unterschied besteht darin, dass die IB-Schlussprüfungen extern geschrieben und korrigiert werden, während wir die Maturitätsprüfungen selber schreiben und korrigieren.
Viele Vorteile für die Lernenden
Worin liegt der Gewinn des IB-Diploms für Schule und Lernende? Die Absolventinnen und Absolventen haben mit dem IB-Diplom einen Mittelschulabschluss in der Hand, der an Universitäten weltweit Anerkennung geniesst. Allerdings ist der Wert des IB-Diploms für die Aufnahme eines Studiums an einer Universität u. a. abhängig von der erreichten Punktzahl. So erwartet die Universität Oxford von Bewerbenden mit IB-Diplom, dass sie von den 45 möglichen Punkten 38 bis 40 erreichen und in den Fächern im Leistungsstufenniveau keine Bewertung unter 6 bekommen haben.
Der Immersionsunterricht in englischer Sprache fördert nachweislich die Kenntnisse in dieser Sprache. Für unsere Lernenden aus Engelberg ergibt sich erstmalig in der Schweiz die Situation, dass alle Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus dem Einzugsgebiet einer Schule mit der zweisprachigen Maturität Deutsch-Englisch (und dem IB-Diplom) abschliessen.
Inhaltlich und methodisch bringt die Umsetzung der IB-Lehrpläne Veränderungen mit sich: Allgemein legt das IB Gewicht auf Prüfungsaufgaben, für deren Lösung die Lernenden eine breite Palette von Kompetenzen anwenden müssen. Im Besonderen wird etwa im Fach Deutsch auch Weltliteratur in Übersetzung gelesen, in Biologie und in Geografie wird Gewicht auf Arbeitsformen wie Untersuchungen im Labor bzw. Datensammeln im Feld gelegt, mit anschliessender Auswertung und Darstellung der Resultate. Überhaupt wird das Schreiben von kleineren Arbeiten und Essays eingeübt. Zur vom IB geforderten Schulkultur gehört ferner der Einbezug der Schul-Mediathek: Die Lernenden sollen regelmässig die gedruckten und elektronischen Medien, welche die Mediathek zur Verfügung stellt, nutzen, um kleinere oder grössere Recherchen zu unternehmen. Die genannten Arbeitsformen ergänzen die herkömmliche Ausbildung am Gymnasium und leisten ihren Beitrag zu einer möglichst guten Vorbereitung auf das Studium. Das wird von vielen unserer Lernenden positiv wahrgenommen.
Positives Fazit
Zwei Jahrgänge mit Doppelabschluss liegen nun hinter uns. Abschliessend drei Beobachtungen zu einem vorläufigen Fazit:
- Unsere Lernenden sind verständlicherweise in erster Linie an der Matura interessiert, da die allermeisten ein Studium in der Schweiz planen. Die Mehrarbeit für die verschiedenen Essays und Arbeiten, die der Doppelabschluss mit sich bringt, nehmen sie hin, solange die erzielten Noten für die Promotion oder die Maturanoten zählen. Leider aber fehlt momentan noch zu oft die Motivation, die IB-Abschlussprüfungen, deren Resultate nicht in die Maturanoten eingehen, ebenso gut wie die Maturaprüfungen vorzubereiten. Es bleibt ein herausforderndes Ziel, dass das Erlangen des vollständigen IB-Diploms ein selbstverständlicher Teil unserer Schulkultur wird.
- Die verschiedenen vom IB verlangten Arbeiten und Essays müssen günstig auf die letzten zweieinhalb Schuljahre verteilt und gut vorbereitet werden. In diesem Punkt haben wir bereits Fortschritte gegenüber dem ersten Jahrgang erzielt, können aber an der Feinabstimmung und Vorbereitung weitere Verbesserungen anbringen.
- Recht problemlos ist der Unterricht in englischer Sprache angelaufen. Vor ein paar Jahren noch hatten viele unserer Lernenden und Eltern Bedenken, ob alle Lernenden die Immersion schaffen würden. Doch hat kein Schüler der letzten beiden Jahre die Maturaprüfungen wegen der Immersion nicht bestanden. Die entsprechenden Bedenken sind verschwunden, die Vorteile besserer Englischkenntnisse in Wort und Schrift klar ersichtlich.
Hansueli Flückiger
IB-Koordinator