Die Mediathek der Stiftsschule Engelberg: Ein multifunktionales Portal im Dienste ganzheitlicher Bildung
Die Debatte, wozu es noch Bibliotheken in Zeiten des Internets und der fortschreitenden Digitalisierung von Büchern brauche, wurde unlängst erneut entfacht, indem R. Ball, Leiter der Bibliothek der ETH Zürich, in einem NZZ-Interview meinte, für die Suche nach Inhalten brauche es die Bibliothek nicht mehr. Tatsache ist, dass die Informationsbeschaffung durch Ausleihe von Büchern und anderen Medien seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr monopolisierend durch Bibliotheken -genauer Mediatheken - verschiedenster Institutionen geschieht. Heute reicht ein Griff zum Smartphone, um in Sekundenschnelle eine erste Kurzinformation zu erhalten. Das Zeitalter des Internets eröffnet uns sich vielseitig bietende Möglichkeiten und stellt uns gleichzeitig vor Herausforderungen (u.a. "information overload", "Fake News"). Welchen Stellenwert haben diese Tatsachen in der Mediathek der Stiftsschule Engelberg? Wie gestaltet sich der Kultur- und Bildungsauftrag der Mediathek, und was schätzen unsere Schülerinnen und Schüler an ihr?
Die Mediathek als integraler Bestandteil der Stiftsschule
Seit Generationen ist die Schulbibliothek integrierter und integrierender Teil des pulsierenden Lebens an der Stiftsschule Engelberg. Laut Stiftsarchivar des Klosters Engelberg, Rolf De Kegel, ist sie erstmals 1903 als "Professoren- und Schülerbibliothek" mit einem eigenen Jahresbericht erwähnt, und die seit den 1920er Jahren überlieferten Bücherverzeichnisse zeigen, dass nebst allen gängigen Sachbereichen auch Sodalenbücher und "Belletristik (Unterhaltung und Kunstprosa)" zur Ausleihe vorhanden waren.
Heute stehen v. a. die schulischen wie auch freizeitlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt, wobei die Bibliothekarin mit der Schulleitung und den Fachlehrpersonen so zusammen zu arbeiten versucht, dass ein möglichst guter Informationspool zur Implementierung des Lehrplanes und des IB-Diplomprogrammes gewährleistet ist. Aber das ist längst nicht alles: Die Mediathek der Stiftsschule Engelberg sieht sich als Portal im Dienst ganzheitlicher Bildung. Die Schülerin Chantal antwortet auf die Frage, wozu es eine Mediathek denn brauche, mit einer Gegenfrage: «Da kann man genau so gut fragen, wozu es denn Bildung brauche. Macht das Sinn?».
Informationsbeschaffung
Unsere Mediathek ist Portal zur Beschaffung gedruckter, elektronischer und digitaler Informationen. Dabei sollen die Medienarten nicht in Konkurrenz miteinander stehen, sondern, je nach Situation und Zweck, benutzt werden. Das Medium Buch geniesst (noch) einen hohen ideellen und emotionalen Wert, da es meistens mit persönlichen Erinnerungen verknüpft ist und sich mit allen Sinnen wahrnehmen lässt (Stichwort "Geruch"). Es ist speziell, weil es nicht multifunktional ist wie elektronische Träger es sind. Hingegen ist es alleine der Digitalisierung und Vernetzung mit anderen Informationsinstitutionen, wie beispielsweise der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, zu verdanken, dass wir heute vor Ort auf einen so breiten Fundus aktuellsten Wissens zugreifen können, und es wieder möglich wird, an die Tradition der Stiftsbibliothek des Klosters Engelberg anzuknüpfen: Die Stiftsbibliothek hat nämlich immer wieder durch die Jahrhunderte bewiesen, mit ihrem jeweiligen Bücherbestand auf der Höhe ihrer Zeit gewesen zu sein. Die sogenannten Atlantenmotive auf den Handschriften im Engelberger Skriptorium des 12. Jahrhunderts und die Ausgabe der Encyclopédie, eines der wichtigsten Werke der Aufklärung, sind stolze Zeugen davon.
Indes, die manchmal so rasch erschaffenen wie abrufbaren Informationen via Internet stellen uns auch vor ernst zu nehmenden Herausforderungen, wie oben erwähnt. Die Lehrkräfte, zusammen mit der Bibliothekarin, bieten sich als Lotsen durch die unüberschaubare Informationsflut an. Speziell das Handwerk des Filterns und Verarbeitens von digitalen Informationen muss gelernt sein - Stichwort "Informationskompetenz". Es ist daher wichtiger Bestandteil des Faches Informatik, und auch die Mediathek führt Workshops durch und offeriert Coaching im Rahmen des Möglichen.
Lern- und Arbeitsort
Unsere Mediathek offeriert ein Portal zum Arbeiten und Lernen. Dies geschieht alleine, im Zwiegespräch oder in Gruppenarbeiten als Teil des Unterrichts. Dabei suchen die Schüler und Schülerinnen nicht nur nach Informationen, sondern stellen Fragen, denken laut, untersuchen Konzepte, entwickeln neue Ideen und analytische Fähigkeiten, tauschen sich gegenseitig aus. Im besten Fall bekommen sie sogar Freude am Lernen und stärken so ihre lebenslange Wissensneugier.
Leseförderung und Freizeitbeschäftigung
Besonders in den untergymnasialen Stufen leistet unsere Mediathek einen Beitrag zur Leseförderung und zur nichtkommerziellen Freizeitbeschäftigung. Die beiden Schülerinnen Annina und Victoria formulieren dies so: «Ja, es braucht die Mediathek unbedingt! Für kostenlose Infos, Filme, die man nicht mehr kaufen kann, für Freizeit und Spass» (Annina); «Ah, es duftet nach Büchern! Ich tauche ab in eine andere Welt» (Victoria).
Rückzugsort
Unsere Mediathek bietet sich ein wenig als "home away from home" an, als Rückzugs-, Entspannungs- aber auch Austauschort. Alice: «Hier kann ich im Moment denken, was ich will, chillen, diskutieren, laut überlegen, warum ich gerade Stress habe».
Gelebte Schulgemeinschaft
Schliesslich bietet unsere Mediathek Gelegenheit, sich für die Schulgemeinschaft zu engagieren, mitzumachen, Ideen kreativ umzusetzen. Das kann im Rahmen des CAS-Programmes - als Bestandteil des IB-Diploms - geschehen oder einfach auf persönliche Initiative unserer Schülerinnen und Schüler hin. Dieses aktive Mitmachen manifestiert sich in Bücherwünschen, im Planen und Durchführen eines Bücherstandes in der 10-Uhr-Pause, im Einrichten der DVD-Sammlung oder durch die Gründung eines Book Clubs, der den vielversprechenden Namen "Book Bond and Movie Squad" trägt. All diese Engagements sind besonders wertvoll, tragen sie doch zur lebendigen Schulgemeinschaft bei und befähigen unsere jungen Menschen, Verantwortung zu übernehmen und sich sozial zu engagieren.
So dürfen im Mikrokosmos des Schullebens Grundhaltungen und Fähigkeiten heranwachsen, die später im Makrokosmos der Gesellschaft weiterentwickelt und gelebt werden können. Indes, Entwicklung findet nicht nur bei den uns anvertrauten jungen Menschen statt. Auch ich als Bibliothekarin fühle mich, in Zusammenarbeit mit der Schulleitung, angespornt, dem Puls der sich rasch verändernden Zeit bewusst nachzuspüren, um den Bildungs- und Kulturauftrag der Mediathek unserer Schule immer wieder von Neuem wertvoll, kreativ und zukunftsorientiert umzusetzen.
Esther Flückiger-Hawker
Schulbibliothekarin