«Schneewittchen» in der Tradition der Theateraufführungen an der Stiftsschule
«2022 – heute Abend … nicht zu fassen … spielt eine Klasse ‹Schneewittchen› … das war nicht vorauszusehen … Das ‹Schneewittchen›, das 1954 vertont wurde. Wirklich? Ist das nicht irgendein Gerücht?»
Nein, es war kein Gerücht, es fand wieder eine musikalisch-szenische Aufführung als Abschluss der Sonderwoche Kunst und Kultur der 2. UG statt. Letztes Jahr die «Zauberflöte» von Mozart, dieses Jahr «Schneewittchen» des Engelberger Mönchs P. Emanuel Bucher (1896–1975): in zwei Jahren die ganze Bandbreite der szenisch-musikalischen Aufführungen im Theater der Stiftsschule Engelberg.
Musik spielte schon in der Legende über die Herkunft des Namens Engelberg eine bedeutende Rolle und spielt diese bis heute im Kloster und in der Stiftsschule. Ebenso sind szenische Aufführungen ein fester Bestandteil in ihrer Geschichte. Die früheste Quelle ist ein liturgisches Drama, das «Jüngere Engelberger Osterspiel» aus dem Jahr 1372. Für die Zeit nach der Schulreform von 1851 bis ins Jahr 1963 lassen sich mit wenigen Ausnahmen jährliche Opernaufführungen nachweisen. 1906 – in dieses Jahr fällt auch die Elektrifizierung von Kloster und Schule – bekam die Schule den heutigen Theatersaal. Er wurde mit der Oper «Fidelio» von Beethoven eingeweiht. Nachdem 1963 letztmals ein Musiktheater in der Fasnachtszeit aufgeführt worden war, wurde die Tradition der Schauspielaufführungen fortgesetzt. In den letzten Jahren gab es immer wieder einmal eine musikalisch-szenische Darbietung. So wurde beispielsweise letztes Jahr im Rahmen der Sonderwoche von der damaligen 2. UG Mozarts «Zauberflöte» aufgeführt, und dieses Jahr eben «Schneewittchen». Beide Male nahm Ruth Mory-Wigger Anpassungen vor, damit die Werke zu den Stimmen der Klasse passten.
Das «Verzeichnis Engelberger Quellen mit datierbarer Aufführung» (vgl. Paulus, Vera: Oper in der Klosterschule) enthält 48 Werke von 32 Komponisten. Drei von ihnen waren Konventualen des Engelberger Benediktinerklosters: P. Franz Huber, P. Adalbert Häfliger und P. Emanuel Bucher. Der Schwerpunkt ihres künstlerischen Wirkens liegt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vor ihren Kompositionen für das hauseigene Schultheater wirkten die Patres dagegen hauptsächlich als Stimmenschreiber und Bearbeiter von Repertoireopern, verfassten jedoch selbst keine Stücke.
Der gebürtige Luzerner P. Emanuel war der fruchtbarste Komponist des Klosters Engelberg. Er hatte in Engelberg die Schule besucht und wurde so schon früh mit der Stiftsbühne und ihrer Tradition vertraut. P. Emanuel komponierte nicht nur Singspiele, sondern schon zu Zeiten seiner musikalischen Ausbildung in Wien (September 1924 bis Juli 1926, kirchenmusikalische Abteilung der Akademie für Musik und darstellende Kunst) die Oper «Gedeon».
In seiner Zeit als Stiftskapellmeister schuf P. Emanuel drei Singspiele für die Schule: «Schneewittchen», «Der Wolf und die sieben Geisslein» und «Der Montag streikt». Die beiden letzten kommen ohne Chor aus, allerdings sind sehr viele Solistinnen und Solisten vorgesehen – bei «Der Montag streikt» sind es neunundzwanzig.
Das Singspiel «Schneewittchen und die sieben Zwerge» entstand, als P. Emanuel Stiftskapellmeister des Klosters war, die Uraufführung war 1954.
Das Stück verlangt als einziges seiner Singspiele neben Solisten und Orchester auch einen Chor. P. Emanuel komponierte hierfür nicht nur die Musik, sondern verfasste auch den Text dazu. Das erste Bild spielt im Saal der Königin, das dritte beim Apotheker Fliegenpilz und die anderen beiden Bilder im Haus der Zwerge. Das Orchester bestand 1954 aus Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Pauke sowie dreistimmigen Violinen, Viola und Violoncello. Für die gedruckte Version wurde das Stück für Klavier und Streicher ad libitum (Violine I/II/III und Cello) umgearbeitet.
2022 kam es mit Klavier, Flöte und Cello und vereinzelten Einsätzen von Bassklangstäben zur Aufführung. Das Stück ist komponiert für zwei Mezzosopranisten (Schneewittchen, der Apotheker Fliegenpilz), zwei Sprechrollen (Königin, Prinz), sieben Zwerge und Pagen, wobei die Zwerge und die Pagen als Sopran- und Altstimmen gesetzt sind. Diese Rollen konnten so von den Schülerinnen und Schülern der 2. UG übernommen werden. Sie erarbeiteten während der Sonderwoche vor den Herbstferien unter Leitung von Ruth Mory-Wigger, Franziska Bachmann Pfister und Christian Frehner das Singspiel und führten es dann nach den Herbstferien zwei Mal auf.
Vera Paulus
Leiterin Musikbibliothek, Fachlehrerin Geschichte